- nordamerikanische Kulturen: Bewässerungsfeldbauern des Südwestens
- nordamerikanische Kulturen: Bewässerungsfeldbauern des SüdwestensDer Charakter des südwestlichen Nordamerika wird durch seine wüsten- und halbwüstenartigen Landschaften geprägt. Anders als im Osten trat hier der Mais lange vor der Keramik auf. Man kann dies als Hinweis auf die mobilere Lebensweise der archaischen Kulturen der Region sehen, die sich seit etwa 7000 v. Chr. speziell auf die Nutzung wild wachsender Nahrungspflanzen in einer trockenen Umwelt stützten. Die Träger dieser Kulturen begannen jedenfalls gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr., den aus Mexiko übernommenen Mais anzubauen, anfangs wohl nur zur Ergänzung der Sammelwirtschaft. Erst um 200 v. Chr., nachdem auch Kürbisse und Bohnen in die Reihe der Kulturpflanzen getreten waren, hatte sich die Sesshaftigkeit so weit entwickelt, dass man auch mit der Herstellung von Tongefäßen begann. Die formative Periode im Südwesten war durch das Nebeneinander verschiedener Kulturtraditionen bestimmt, die aus der Anpassung an die unterschiedlichen Lebensbedingungen auf engem Raum entstanden sind. Dies illustriert die Bedeutung der Kleinräumigkeit für die Unterschiede in den Kulturentwicklungen. In keiner von ihnen jedoch spielten aufwendige Bestattungsformen oder andere sichtbare Anzeichen sozialer Unterschiede eine Rolle, anders als dies im Waldland der Fall war.Die Mogollon-Kultur in den Bergländern zwischen New Mexico und Arizona war die älteste dieser formativen Kulturen, und sie blieb ihren archaischen Ursprüngen am nächsten. Die runden, halb unterirdischen Häuser, aus denen ihre kleinen Dörfer lange Zeit bestanden, sind eine im Westen Nordamerikas weit verbreitete Bauform. Der Bodenbau erforderte relativ geringen Aufwand und war deswegen auch weniger revolutionierend für das tägliche Leben der Mogollon-Leute. Ihre Keramik entwickelte sich seit der Zeitenwende aus unverzierten Gebrauchsformen bis zur figürlich bemalten Keramik von Mimbres im 11. Jahrhundert, die allerdings bereits den wachsenden Einfluss der Anasazi verrät, in denen die Mogollon-Leute schließlich aufgingen.Die deutlichsten Einflüsse aus Mexiko verarbeitete die Hohokam-Tradition in der tief gelegenen Gilawüste im Süden Arizonas. Feldbau war hier nur mittels intensiver Bewässerung möglich. Die Hohokam legten deshalb ein mehr als 200 km langes Kanalsystem an, um das Wasser auf die Felder zu leiten. Der Baumwollanbau, von etwa 300 n. Chr. an, sowie später der Import von Papageien, gegossenen Kupferschellen und Metallspiegeln, die Errichtung von Ballspielplätzen und schließlich (in der Spätzeit) die Anlage kleiner Tempelpyramiden verraten direkte Einflüsse aus Mexiko. Snaketown, ein Hauptort der Hohokam, bestand aus hunderten von Grubenhäusern, die später von Bauten aus luftgetrockneten Lehmziegeln (»adobe«) oder aus Stampflehm abgelöst wurden. Auch die Hohokam gerieten nach 1100 unter den Einfluss der Anasazi, die sich aber bald wieder aus der Gilawüste zurückzogen. In Folge der politischen Umwälzungen im Hochtal von Mexiko — dem Niedergang der Tula und Tolteken — wurden auch die Beziehungen nach Mesoamerika unterbrochen. Danach blieben die wahrscheinlich einzigen Nachkommen der Hohokam in historischer Zeit, die Pima, kulturell verarmt zurück.Während das Wort »Hohokam« aus der Pima-Sprache stammt und sich auf die »verschwundenen« Vorgänger bezieht, geht die Bezeichnung »Anasazi« (= die Alten) auf die Navajo zurück, die gemeinsam mit anderen Apache-Gruppen etwa zur selben Zeit wie die Spanier in den Südwesten eingewandert waren. Die Heimat der Anasazi lag nördlich der Hohokam und westlich der Mogollon und damit am weitesten von Einflüssen aus Mesoamerika entfernt. In Anspielung auf die Tatsache, dass in derAnfangsphase ihrer Entwicklung geflochtene Gefäße überwiegen, werden die Anasazi sowie diese Phase ihrer Kultur von der Wissenschaft auch als »Basketmaker« (= Korbmacher) bezeichnet. Erst von 450 n. Chr. an stellten sie Keramik her. Aus den halb unterirdischen Grubenhäusern, ähnlich jenen der Mogollon, entwickelte sich ab dem 8. Jahrhundert die mehrstöckige »Apartmenthaus«-Architektur der Anasazi-Pueblos aus Stein- oder Adobemauerwerk. Zwischen 900 und 1150 erreichte diese Pueblo-Kultur im Chaco Canyon im Nordwesten Neumexikos einen ersten Höhepunkt. Mehrere Großpueblos, darunter Pueblo Bonito mit 800 Räumen, beherbergten insgesamt mehrere tausend Menschen. Dieses Zentrum war durch ein Straßensystem mit seinen Kolonien im Umland verbunden. Während manches an Chaco Canyon noch rätselhaft ist, sind die Ursachen seines Untergangs klar: Massiver Einschlag von Holz führte zu Erosion und damit zur ökologischen Katastrophe.Auch ohne hausgemachte Umweltprobleme brachten Klimaveränderungen einen steten Anpassungsbedarf mit sich. Dies führte zu Bevölkerungsverschiebungen, wechselnden Siedlungsgrößen und neuen Feldbautechniken, einschließlich der Kanalbewässerung. Die spektakulärsten Bauten - in steile Felswände eingepasste Häuser und große Wohnkomplexe mit hunderten von Räumen - stammen ebenso aus dem 12. und 13. Jahrhundert wie die erste mehrfarbig bemalte Keramik, die ihre volle Entfaltung gemeinsam mit der Wandmalerei im 14. und 15. Jahrhundert erreichte.Nicht nur - wie sonst in Nordamerika - der Hund, auch der Truthahn wurde als Haustier gehalten, doch weniger des Fleisches als der Federn wegen. Truthahnbestattungen mit Grabbeigaben weisen auf die besondere Rolle des Vogels hin. Dank des trockenen Klimas haben sich auch viele Kulturgüter aus organischem Material erhalten, die ein deutliches Bild von der Vielseitigkeit der Pueblo-Leute geben. Dazu zählen gekrümmte Wurfhölzer für die Kaninchenjagd, Speerschleudern, Körbe, Matten, geflochtene Sandalen und Baumwollkleidung, wie sie auch auf den Wandmalereien zu sehen ist. Die Herstellung dieser Wandmalereien, die im Umfeld von Ritualen in den unterirdischen Zeremonialräumen angelegt wurden, war teilweise selbst ein Ritual, vor allem zur Beschwörung von Regen und Fruchtbarkeit. In den bis heute lebendigen Regen- und Fruchtbarkeitsritualen innerhalb der Pueblos spielen die Kachinas, übernatürliche Wesen mit Ahnencharakter, die von Mitgliedern der Männerbünde verkörpert werden, eine zentrale Rolle. Etliche dieser durch Attribute individuell gekennzeichneten Wesen sind auch in den Wandmalereien dargestellt, womit die Existenz einer Vorform des heutigen Kachina-Kults zu belegen ist. In historischer Zeit waren die Pueblo-Völker Sprecher unterschiedlicher Sprachen, verfügten aber über eine weitgehend gemeinsame Kultur, deren Übereinstimmung wohl der zunehmenden »Anasazisierung« weiter Teile des Südwestens ab dem 12. Jahrhundert zuzuschreiben ist.Prof. Dr. Christian F. FeestDie Indianer. Kulturen und Geschichte, Band 1: Lindig, Wolfgang: Nordamerika. Von der Beringstraße bis zum Isthmus von Tehuantepec. München 61994.
Universal-Lexikon. 2012.